Was der Heddernheimer Einzelhandel zum Überleben braucht.Heddernheims Einzelhandelszentrum liegt schon ewig entlang der Heddernheimer Landstraße. Doch es werden immer weniger Geschäfte. Die, die verbleiben, müssen kreative Ideen mitbringen. Dann aber geht es.
Ein Mal entlang der Heddernheimer Landstraße, von der Nidda-Brücke bis hin zur Hessestraße – das ist ein Gang durch Heddernheims Zentrum, vorbei an den meisten Einzelhändlern des Stadtteils. Doch die sind in den vergangenen Jahren immer weniger geworden. Auch das Einzelhandelskonzept der Stadt weist einen Verlust aus, von 2003 bis 2010 haben zwei Betriebe dicht gemacht. Reihte sich früher hier aber fast Geschäft an Geschäft, sind heute ganze Abschnitte der Straße verwaist, nur noch Wohnungen und Büros zu finden.
Letztes Problem: Rund eineinhalb Jahre war die Nidda-Brücke für den Verkehr gesperrt. Die Eschersheimer kamen nur noch zu Fuß über den Fluss. „Uns sind sehr viele Kunden abhanden gekommen“, sagt Dieter Schmitt, Sprecher des Gewerbevereins. Er selbst hat seinen Elektro-Laden geschlossen, arbeitet jetzt nur noch als Elektroinstallateur. „Ich hatte Umsatzeinbußen von 40 Prozent“, ergänzt Georg Zdrahal, der in Heddernheim nur als „Lotto-Schorsch“ bekannt ist. Er führt seit 17 Jahren einen Kiosk in der unteren Hälfte der Heddernheimer Landstraße.
Zu viele Strafzettel
„Lotto Schorsch“ steht hinter der Theke seines Ladens, die Zeitung aufgeschlagen. Wenn gerade niemand im Geschäft ist, liest er. Letzteres kommt ihm zu häufig vor. Dafür macht er unter anderem das Nordwestzentrum und die schlechte Parkplatzsituation verantwortlich – vor dem Haus ist Halteverbot. „Da werden schnell Strafzettel geschrieben. Es geht nur ums abkassieren“, ärgert sich Zdrahal. „Die Leute kaufen eine Zeitung und zahlen dann 15 Euro für den Strafzettel“, weiß Schmitt. Er schlägt daher vor, Zeitparkplätze einzurichten. Ein erster Vorstoß bei der Stadt sei gescheitert, ein zweiter geplant.
Die Parkplatzsituation sieht auch Elke Simmel als Problem. Sie führt gemeinsam mit Karin Huber „Die Seifenmanufaktur“, bekannt unter anderem durch die von ihnen erfundene Apfelweinseife. Simmel hat gerade alles in Kisten gepackt, ist umgezogen. Nun liegt ihr Laden nicht mehr gegenüber eines Wettbüros, eines Bistros und eines Internetcafés. „Da war einmal ein Gemüsehändler“, erzählt Simmel. Doch das Geschäft habe sich wohl nicht rentiert. „Die Seifenmanufaktur“ ist nun an die Ecke Nistergasse / Oranienstraße zu finden. „Wir brauchten mehr Platz“, sagt Simmel – ein Satz, den man hier nicht mehr gewohnt ist. Allerdings: Es ist nur der Lagerverkauf. „95 Prozent des Umsatzes machen wir im Internet. Das hier alleine ginge nicht.“
Eine Nische finden, eine Idee haben. Anders funktioniert es rund um die Heddernheimer Landstraße kaum. Ein Stück weiter oben, vorbei an Sonnenstudio, Growshop & Headshop (Zubehör für den Anbau von Hanfpflanzen), Pizzeria, Anwälten und Frisören, ist eine Buchhandlung zu finden. Von außen ist sie ein gewohnter Anblick. Gartenbücher stehen passend zur Jahreszeit im Schaufenster, dazu Bücher aus der „Insel-Bücherei“.
Doch weit gefehlt: Die Chimaira Buchhandelsgesellschaft von Andreas Brahm ist nicht nur eine Stadtteilbuchhandlung. Es ist auch ein Antiquariat und ein Fachbuchhandlung für Herpetologie (Kriechtierkunde), Entomologie (Insektenkunde) und Ichthyologie (Fischkunde) – die einzige in Europa. Seit 2004 ist sie in Heddernheim. „Es funktioniert hier gut“, sagt Brahm. Trotzdem macht er sich auch Sorgen: „Peu à peu geht hier eine Einkaufsstraße kaputt“, meint Brahm. Gut sei, dass der Schlecker bleibe. In dessen Schaufensterscheibe, ein Stückchen die Straße weiter, ist zu lesen: „Wir sind weiter für Sie da!“
Rewe ist zu weit weg
Früher habe an dieser Stelle ein Penny für eine Belebung der Straße gesorgt, sagt Schmitt. „Der Rewe ist dafür zu weit oben.“ Letzterer liegt schon an der Hessestraße, dem oberen Ende der 600 Meter langen Einkaufsstraße. Mitten an der Heddernheimer Landstraße liegt dagegen ein Traditionsgeschäft. Seit 1835 gibt es Uhren Siebert. Norbert Siebert führt es in fünfter Generation. „Man sucht sich eine Nische“, nennt er alte und antike Uhren. Sonderwünsche, die andere nicht erfüllen könnten.
„Wir brauchen Geschäfte, die ihren Kunden beratend zur Seite stehen“, sagt Schmitt. Fachhandel, den es so im nicht einmal zwei Kilometer entfernten Nordwestzentrum nicht gebe. Das Einkaufszentrum ist seit mehr als 40 Jahren ein großer Konkurrent, zählt heute 150 Läden. „Mein Vater hat eine Liste gemacht. Da gab es hier noch mehr als 40 Geschäfte“, sagt Siebert. Das Einzelhandelskonzept zählt gerade einmal noch 19. „Das Sterben ist groß.“ Uhren Siebert aber ist geblieben, auch wenn die Frequenz weniger geworden sei. Dafür bleibt Zeit für den Kunden.
Die nimmt sich auch Mirjam von Haza-Radlitz. Sie führt Mirjam‘s Blumenkörbchen an der Ecke zur Nassauer Straße. Hinein geht es durch den gleichen Eingang wie zum Bäcker nebenan. „Ich habe viel Stammkundschaft“, sagt die Inhaberin. Sie profitiere davon, dass es im Stadtteil viele kleine Gärten gebe, zudem die Kleingärten außen herum. Ihr missfällt allerdings die Umgebung: „Das Stadtteilbild ist schlecht. Es gibt viele zugehängte Scheiben.“
Büros verdrängen Läden
Ein Zustand, der an vielen Stellen an der Heddernheimer Landstraße auffällt. Oft haben zudem Büros die Läden verdrängt. „Wir können leider keinen Hauseigentümer zwingen, etwas zu machen“, sagt Schmitt. „Die Eigentümer müssen mitspielen“, meint auch Oliver Schwebel von der städtischen Wirtschaftsförderung. Die Stadt könne aber nur bei der Aufwertung des öffentlichen Raumes helfen. Ein kleiner Schritt dazu war die Einrichtung des Karl-Perott-Platzes. Der liegt im oberen Abschnitt der Straße, Bänke laden zum Verweilen ein. Einzelhandel sucht man jedoch hier vergebens, aber es gibt Arztpraxen. Immerhin ist freitags der – sehr gut besuchte – Wochenmarkt zu Gast. „Das ist eine gute Bereicherung“, sagt von Haza-Radlitz.
Das „unattraktive architektonische und werbliche Erscheinungsbild“ erkennt auch das Einzelhandelskonzept. Mark Gellert, Sprecher von Planungsdezernent Olaf Cunitz (Grüne), verweist aber auf die Grenzen der öffentlichen Hand. Das Konzept diene nur als Bestandsaufnahme und Entscheidungshilfe, liefere aber „keinen Katalog zum Abarbeiten“. Die Probleme seien in vielen Stadtteilzentren ähnlich – vor allem rund um das Nordwestzentrum, sagt Schwebel. „Wir empfehlen eine Interessengemeinschaft. Es geht nur, wenn die Geschäfte vor Ort mitmachen.“
Schmitt und der Gewerbeverein wollen Initiativen starten. Neben den Zeitparkplätzen wünscht er sich am Ortseingang hinter der Brücke ein großes Schild, auf dem alle Einzelhändler verzeichnet sind. Auch das Heftchen mit allen Betrieben werde weiter verteilt. Den Wandel hält dies aber nicht auf: Der Second-Hand-Laden wird im Sommer schließen. Dafür versucht sich ein Weinhandel, weitere Neugründungen erwünscht: „Wir brauchen Menschen mit Herzblut“, sagt Schmitt – und guten Ideen.
Artikel Frankfurter Neue Presse vom 07. Mai 2012. Von Sebastian Semrau